12.05.2018 Bluesmesse
Ostalgie der ganz anderen Art
Die Bluesmessen der Samariterkirche sind legendär. In den 80ern trafen sich hier Jugendliche, die nicht ins DDR-Schema passten. Am 12. Mai möchten wir an diese Bluesmessen mit einem ersten Konzert erinnern.
„Meine Haarpracht war genauso wie mein Blues im offiziellen SED-Staat unerwünscht“, erinnerte sich der Gitarrist „Holly“ (Günther Holwas ist leider am 11. Mai 2014 verstorben). Deshalb konnte Günther „Holly“ Holwas damals nur in privaten Wohnungen auftreten. Er wollte aber ein Benefiz-Konzert geben und suchte dafür einen Aufführungsort und stieß dabei auf einen Jugendpfarrer Namens Rainer Eppelmann, der seine Samariterkirche dafür öffnete. Die Bluesmessen waren geboren, legendäre Alternativ-Veranstaltungen, an die am 12.Mai noch einmal erinnert wird. „Holly“ sagte, er würde mir gerne die Kirche voll machen“, erinnert sich Eppelmann. Der Theologe und spätere Politiker war wie Holly selbst Bausoldat gewesen. Aus seinem sozial-demokratischen Verständnis wollte Eppelmann – wie einige der jümgerem Pfarrer damals auch – jene Jugendlichen ansprechen, die sich nicht dem DDR-System anpassen wollten. Ein reines Blueskonzert allerdings hätte die Staatssicherheit auf den Plan gerufen. Deshalb bereiteten die Pfarrer für den 1. Juni 1979 einen Jugendgottesdienst vor, bei welchem Holly auftrat. Über zweihundert Langhaarige kamen. Sie trugen Parkas, Jeans und ließen Flaschen mit Rotwein oder Schnaps kreisen. Menschen, die sonst nichts mit Kirche zu tun hatten, waren gekommen. Die staatlichen Stellen nahmen den Gottesdienst zur Kenntnis. Sie monierten lediglich, dass in der letzten Dreiviertelstunde kein biblischer Text mehr vorgetragen worden sei. Das änderte sich bei den Gottesdiensten ab 1980, die dann Bluesmessen hießen und mehrere Tausend Besucher hatten. In Klagepsalmen wurden die ungerechten Machtverhältnisse der DDR kritisiert. Zwischen den Musikpausen gab es Sketche. „Da fühlte sich der Staat provoziert“, sagt Dirk Moldt, der früher als Schüler die Bluesmessen besuchte und heute zu dem Thema forscht. Aus Platzgründen verlegte man die Bluesmesse in die Lichtenberger Erlöserkirche, wo am 14. November 1980 über 4000 Jugendliche kamen – und zahlreiche Spitzel der Stasi. „Die Liturgie mit Andacht und Predigt musste unbedingt eingehalten werden“, sagt Moldt, „damit die Veranstaltung in Regie der Kirche blieb.“ Die Musik zog ein großes Publikum an. Dadurch hatten auch oppositionelle Basisgruppen Zulauf, die sich in Kirchenräumen trafen. Die Bluesmessen gingen noch bis 1986 weiter, so dass es insgesamt 20 Gottesdienste waren, die mehr als 50.000 Besucher erreichten. Das zu den letzten nur noch tausend Jugendliche kamen und das sie schließlich ganz eingestellt wurden, hat unterschiedliche Gründe. Blues hatte sich als Musik mittlerweile abgenutzt und wurde in der Jugendszene vom offensiveren Punk verdrängt. Die wenigen ehrenamtlichen Helfer der Kirchengemeinden konnten nicht mehr für die Sicherheit garantieren, die derartige Massenveranstaltungen verlangten. Schließlich drohte der politische ‚Unmut jedes Mal zu eskalieren. Außerdem stand 1987 der Kirchentag bevor. Hierzu verlangte der Staat von der Kirche „Wohlverhalten“, so dass auch die Amtskirche am provokativen Potential der Bluesmessen kein Interesse mehr hatte. Trotzdem waren für den Experten Dirk Moldt die Bluesmessen deshalb der Anfang vom Ende der DDR. Das sieht Holly ganz anders. „Dann wäre ich ja ein Held. Aber ich bin doch keiner!“ Holly wollte nur seine Musik machen. Für einen großen Künstler hat er sich selbst nie gehalten. Weil er als Regimegegner galt, entzog ihm die DDR im Juni 1981 die Spielerlaubnis. Die Stasi bedrohte ihn und seine Kinder. Schließlich stellte Holly einen Ausreiseantrag und zog nach Kanada. Nach drei Herzinfarkten rieten ihm die Ärzte in Toronto zu einer Herztransplantation. Deshalb kehrte Holly 1998 nach Berlin zurück. (von Sven Scherz-Schade)
Am 12. Mai 2018 möchten wir aber nicht nur mit Musik an die Bluesmessen erinnern. Ab 18.00 Uhr wird es eine Talkrunde mit den teilnehmenden Bands und interessanten Zeitzeugen aus jener Zeit geben. Freuen Sie sich auf einen langen Abend mit viel Musik von den drei Bands: „Engerling“, „Pasch“ und „Jonathan Blues Band“ dieser Zeit und spannenden Gesprächen. Genießen sie die Nacht bei Lagerfeuer und ohne Angst vor Verhaftungen und Stasispitzeln!
Am 08. September 2018 wird es dann den zweiten Teil der „Bluesmesse“ geben. Bereits zugesagt haben „Monokel“ und „Jürgen Kerth“. Weitere Bands sind in Planung. Als ganz besonderen Gast dürfen wir dann für die Talkrunde den damaligen Jugendpfarrer Rainer Eppelmann begrüßen!
Damals war’s, im Januar 1975 bestiegen fünf junge Herren die Bühne eines Gasthofes in Mahlow bei Berlin. „Engerling“ heißen die, sagte der Kneiper und fügte hinzu: „….na, mit dem Namen werden die aber nicht weit kommen….“Um die 50 war der; ob er wohl 90 wurde ? Engerling wird 43 und ist zum Glück immer noch kein Maikäfer, denn die leben ja bekanntlich nicht sehr lange ! Irgendwie passten sie in all den Jahren nirgends so recht ins Konzept und haben es doch geschafft, sich selbst und ihrem Publikum treu zu bleiben. Den DDR-Kulturfunktionären schien die Band um Pianist und Songwriter Wolfram Bodag als Blues-Band zu weit weg vom Idealbild des liedhaften Rock „als eigenständigen DDR-Beitrag zur internationalen Musikkultur“, als dass man sie wirklich hätte groß raus kommen lassen. Blues-Puristen dagegen kritisierten mangelnde Authentizität einer Bluesband, die sich um die Einhaltung des originalen Zwölf – Takt – Schemas wenig scherte und statt dessen Blueselemente nach Belieben mit Rock- und Soulelementen vermengte oder sich gar in lange Improvisationen verstieg, die viel eher ins psychedelische Flower-Power-Lager gepasst hätten. Seit 42 Jahren feilt die Ost-Formation beharrlich an ihrem eigenen Stil mit intelligenten Texten im Grenzbereich zwischen Deutschrock und eben doch Blues und hat sich damit ein treues, aber ganz und gar nicht „ostalgisches“ Publikum geschaffen. „Rock’n’Blues“ mit Geschichte und dem Blick nach vorn. Die musikalischen Qualitäten der Band nutzt seit 23 Jahren auch die in Detroit, USA, lebende Rocklegende Mitch Ryder in dem er mit Engerling seine Tourneen in Europa bestreitet.
Die JONATHAN BLUES BAND aus Berlin entstand Anfang der 80’er Jahre und fiel durch ihre modernen Arrangements auf. Jahrelang arbeitete die Band in der klassischen Triobesetzung, die hin und wieder durch international und national bekannte Musiker (Peter Thorup, A.Cooper, Frank Dietz, C.Hodgkinson, Bernd Kleinow, Hans die Geige u.v.a.) erweitert wurde. Bandgründer, Gitarrist und Sänger Peter Pabst und der Bassist Hagen Dyballa bilden das musikalische Rückrad der Band. Beide gelten mit als führende Musiker in der Berliner Bluesszene. Nach der Mitwirkung auf einigen Samplerplatten erschien 1987 bei Amiga die erste LP der JONATHAN BLUES BAND unter dem Namen ÜBERDRUCK. Nach einer kreativen Pause ist die Band wieder live durch Klubs und Konzerthallen des Landes unterwegs. Im aktuellen Programm, das im Gegensatz zu früher wieder mehr zum traditionellen Rhythm & Blues hin tendiert, findet der Kenner in erster Linie viele Traditionals, aber auch alte und neue Kompositionen der Band, welche kraftvoll und mit dem typischen JONATHAN BLUES BAND – Feeling und – Sound rüberkommen. Neu hinzugekommen ist der Schlagzeuger Mathias Fuhrmann. Mit seinen 35 Jahren gehört er zur „ YOUNG BLUES GENERATION“ der Berliner Szene. Anfangs spielte er nur gelegentlich für Herbert Junck bei JONATHAN. Inzwischen gelten Fuhrmann und Dyballa als Vertreter der HEAVY – RHYTHM Variante und daß der„ Blues – Pabst “ ebenfalls nichts anbrennen läßt, bewiesen die Drei als Vorband beim JOHNNY WINTER Konzert in Frankfurt/Oder. JONATHAN d.h.,BLUES AND BOOGIE zwischen BUTTER UND BETON.
28 Jahre bewegte Historie sprechen für sich: Pasch ist kein flüchtiges Projekt, sondern eine ehrliche und beständige Band, die im Laufe der Zeit ihre Spuren in der ostdeutschen Musik-Szene hinterlassen hat. Seit der Gründung 1984 durch Willie Woigk (bg, voc) haben wechselnde Besetzungen zwar immer wieder die Stilistik leicht verändert, doch eine wesentliche Konstante zieht sich wie ein roter Faden durch die Pasch-Geschichte: Die Spielfreude und Qualität der Musiker. Altmeister Lothar „Lotix“ Wilke (voc, keys) lenkt nun seit Woigk’s DDR-Ausreise 1988 die Geschicke der Band. Gemeinsam mit seinen aktuellen Verbündeten Christof Hielscher (g, voc) und Uwe Poller (dr, voc), zweier gleichermaßen talentierter, wie jugendlich-dynamischer Musiker, eröffnet er sich neue schöpferische Wege. Charakteristisch für diese Formation sind unter anderem die spontanen improvisatorischen Freiräume, in denen sich urige Hammondorgel-Sounds und intelligent-kraftvolle Gitarrensoli ergänzen, getragen durch groovende Drums.
Dies spiegelt sich in Interpretationen progressiver Bands wie Emerson, Lake & Palmer und Vanilla Fudge genauso wider, wie in Bearbeitungen aktueller Künstler (z.B. Jamie Cullum, Jamiroquai) oder traditioneller Blues-Rock-Songs. Von Anfang an war Pasch bei den Fans vor allem auch wegen der eigenen Titel beliebt. Diese kreative Seite wird wieder mehr Raum im Programm der Band einnehmen, denn es warten eine Menge Ideen darauf, verwirklicht zu werden. Das vielfältige Repertoir und die Erfahrung der Musiker überzeugt. Abrocken, headbangen oder einfach nur zuhören und genießen … ihr entscheidet!
BLUES UND ROCK IN DER DDR
Ein kleines Gedicht
Es war’n die wilden Siebziger Jahre,
Als wir noch hatten allzuviel Haare;
Blueser und Tramper, immer auf dem Pfad,
Hippies im Arbeiter – und Bauernstaat.
Jesuslatschen oder Kletterschuhe,
Blue Jeans, Parka und immer die Ruhe;
So ging’s am Wochenende in die Spur,
Musik und Freiheit das Ziel jeder Tour.
Man lauschte intensiv Freygang bis Renft,
Die Plätze vor der Bühne stets umkämpft.
Der Alkohol war immer mit im Spiel,
Man rauchte Karo und trank vielzuviel.
In den Fünfzigern kam der Rock’n’Roll,
Was Eltern schockte, fanden Teenies toll.
Die Sechziger brachten die Beatmusik,
Flower Power führte ins Hippieglück.
Im Osten war die Musik Klassenkampf,
Man machte Rockgruppen gehörig Dampf.
Sie galten als westliche Sendboten,
Restriktionen und Auflösung drohten.
Auch Osthippies verehrten Blues und Rock,
Blickten sehnsüchtig aufs ferne Woodstock.
Stets im Visier von Stasi und Staatsmacht,
Pflegte man auch hier Liedgut und Haarpracht.
Man besorgte sich eine Gitarre,
Wollte niemals tragen eine Knarre;
Hasste Uniform und Kasernenmief,
Give Peace a Chance war immer Leitmotiv.
Urige Songs von den Doors bis Neil Young
Setzten Lust und Endorphine in Gang.
Wir sahen Modesünden, manchen Tick,
Was bleiben wird, ist die feine Musik.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen
Hallo Rainer, vielen lieben Dank für deinen enthusiastischen Beitrag.
Liebe grüße aus dem Manitu
Hallo Jana, hier ist noch ein kleines Gedicht zur Geschichte des Blues:
SONETT VOM BLUES
Aus den Südstaaten kommt die Musik,
Den Baumwollfeldern entstieg der Klang;
Der Farbigen trauriger Gesang,
Von Sehnsucht durchdrungen jedes Stück.
Der Blues suchte die Großstädte heim,
Zog in Memphis und Chicago ein.
Die Weißen fanden dran Gefallen,
Musiker füllten große Hallen.
Geniale Leute spielten auf,
Country und Rock kamen darauf;
Der Blues eroberte die Welt.
Er wird gespielt an jedem Orte,
Basis zwölf Takte, drei Akkorde;
Herrliche Musik für wenig Geld.
Rainer Kirmse , Altenburg
Musikalische Grüße aus der Skatstadt